Gdansk - Ein Innenverteidiger, der außen spielt. Ein Kapitän, der die Seite wechseln muss. Und dazu ein Abwehrchef, der monatelang verletzt war. Die Voraussetzungen für die deutsche Nationalmannschaft, zum EM-Auftakt ausgerechnet Portugals Superstar Cristiano Ronaldo in Schach zu halten, sind alles andere als gut - wieder einmal gibt es vor einem Turnier die größten Diskussionen um die deutsche Abwehr.
Doch trotz einiger Fragezeichen ist nicht nur Bundestrainer Joachim Löw optimistisch, die Probleme in der Hintermannschaft bis zum ersten Gruppenspiel am Samstag (ab 20:30 Uhr im Live-Ticker) in Lwiw in den Griff zu bekommen. "Ich denke, dass die Defensivarbeit zuletzt nicht perfekt war, das war schon in einigen Spielen des vergangenen Jahres nicht unbedingt das Gelbe vom Ei. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir das bis zum Turnierstart hinbekommen", sagte Löw.
"Gesamtmannschaftlich verteidigen"
Im Training wird derzeit mit großer Intensität vor allem am Feinschliff in der Defensive gearbeitet. Immer wieder lässt Löw bei den für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Einheiten entsprechende Spielformen üben, damit dann gegen Ronaldo und Co. die Automatismen sitzen.
Torwart Manuel Neuer ist überzeugt davon, dass die Zeit bis Samstag ausreicht. "Wir haben das drin. Wir sind alle gestandene Nationalspieler und wissen, dass wir Verantwortung übernehmen müssen. Wir verstehen unseren Job", sagte der 26-Jährige. Wichtig sei, fügte Per Mertesacker (27) an, "dass wir gesamtmannschaftlich gut verteidigen".
Kein Abwehrchef festgelegt
Mertesacker, der nach langer Pause ohne Spielpraxis in die Vorbereitung gekommen war, wird trotz durchwachsener Form in den Tests gegen die Schweiz (3:5) und Israel (2:0) den Vorzug vor dem Dortmunder Mats Hummels erhalten und zusammen mit dem gesetzten Münchner Holger Badstuber die Innenverteidigung bilden. Dabei soll der England-Legionär vom FC Arsenal wie bei den Turnieren 2006, 2008 und 2010 zu einer festen Größe werden.
Die Kommandos in der Abwehr, "die gehen von hinten nach vorne und von innen nach außen", erklärte Torhüter Neuer, doch wer sie geben wird, wer am Ende auch der Chef der Abwehr sein wird, das ist Mertesacker egal. "Solche Fragen kommen immer wieder. Das ist schon ein Laster. Wir tun gut daran, uns auf dem Platz viel zu unterhalten und uns zu unterstützen", sagte der 81-malige Nationalspieler lapidar. Er habe zumindest "eine gewisse Erfahrung. Ich weiß, was die Truppe braucht."
"Ronaldo frühzeitig stellen"
Deshalb weiß Mertesacker auch, was es gegen Portugals Ausnahmespieler Ronaldo braucht. "Wir haben ihn schon ein paar Mal geärgert. Wir dürfen nicht so viele Eins-gegen-Eins-Duelle zulassen", betonte er. Auch Sami Khedira hat einen einfachen Rat, wie man seinen Teamkollegen von Real Madrid stoppt: "Man muss ihn frühzeitig stellen, ihm den Platz nehmen, und vor allem muss man ihm die Lust nehmen. Er ist Portugiese - und die funktionieren ohne Lust nicht."
Neuer ist guter Dinge, dass der Plan am Samstag funktioniert. "Wir haben Top-Innenverteidiger, die alle auch außen spielen können. Wir sind sehr flexibel", sagte der Münchner. Flexibel müssen im System Löw vor allem Philipp Lahm und Jerome Boateng sein. Aus Mangel an erstklassigen Alternativen wird Kapitän Lahm wieder einmal von der rechten Seite, die er beim FC Bayern zuletzt besetzte, auf links wechseln. Dafür ist aller Voraussicht nach Boateng, beim Rekordmeister normalerweise Innenverteidiger, auf rechts erste Wahl.
Diskussionen wie schon 2006, 2008 und 2010
Boateng macht keinen Hehl daraus, dass er sich innen viel wohler fühlt. Aber in der Not spielt er eben auch gegen Ronaldo, nur um in die Mannschaft zu rutschen. "Er ist eine harte Nuss", sagte er dem "kicker", "aber ich bin bereit, wenn der Trainer das so entscheidet." Davon ist auszugehen, da sich die Konkurrenz nicht gerade aufdrängt. Linksverteidiger Marcel Schmelzer kann in der Nationalelf bisher nicht an seine Leistungen in Dortmund anknüpfen. Benedikt Höwedes oder Lars Bender wären auf rechts ebenfalls nur Notlösungen.
Die Probleme auf den Außenbahnen sind für Löw jedoch nicht neu. 2010 durften sich Badstuber und Boateng auf links versuchen - mit mäßigem Erfolg. Dennoch stand bei der WM in Südafrika die Defensive um Mertesacker und Arne Friedrich sowie Lahm weitgehend sicher. Auch 2008 und 2006 waren die Diskussionen um die Abwehr wärend der Turniere meistens verstummt. Dabei hatte es gerade vor der EM 2008 einige heftige Attacken gegen Christoph Metzelder und Mertesacker gegeben: Die Rede war von "Schleich und Schnarch".
(Quelle bundesliga.de)